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Direct Mailing im 21. Jahrhundert

Die Bitte der Liechtensteinischen Post AG, einen Fachartikel über das Direct Mailing sowie seine Möglichkeiten und seine Wirkung zu schreiben, kam mir vor wie ein Wunsch aus vergangenen Zeiten. Welcher Marketer nimmt heute noch das Wort «Werbebrief» in den Mund? Viel lieber will er in Blogbeiträgen oder Social-Media Posts mit den heissesten Buzzwords der Szene glänzen. Die mir unbekannte Laura Dolan hat ein Dutzend solcher klangvoller Begriffe aufgelistet: GOTV Campaigns, Gamify, CRM Advertising, Influencer Marketing, Artificial Intelligence, E-Commerce, KPI, CTA – Call to Action, Omnichannel Marketing, Micro-Influencer Marketing, ReTargeting, SERP – Search Engine Results Page.

Dies führt uns schnurgerade zum grössten Problem im Dialogmarketing: Das gute alte Direct Mailing lässt sich nicht mehr isoliert betrachten. Früher schien eine reine Ursache-Wirkung-Strategie zu funktionieren: «Ich schick dir mal ein Mailing und du meldest dich dann zur Probefahrt oder kaufst am besten gleich was.» Heute muss das in einen grösseren, komplexeren Kontext gestellt werden. Nichtsdestotrotz lösen gut gemachte Mailings im Rahmen einer Kampagne nach wie vor Handlungen aus

Zeigen Mailings wirklich Wirkung?
Eine kürzlich veröffentlichte repräsentative Studie von intervista und der Schweizerischen Post belegt, dass das Direktmarketing nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. Bei der Betrachtungsdauer steht das adressierte Direct Mailing vor dem E-Mail-Newsletter an erster Stelle. Es liegt auch bei der Beliebtheit und der Information an der Spitze. Zudem bringt es den Kunden auf die Website und motiviert ihn wie kein anderes Werbemittel zum Kauf.
Selbst die jüngste Zielgruppe lässt sich am stärksten durch adressierte Sendungen zum Kauf motivieren – allerdings sind Newsletter und soziale Medien hier fast gleich wichtig.

Die Zeiten der reinen Kauf-mich-Werbung sind vorbei
Soll man also nur noch auf Mailings setzen? Das wäre ein vorschneller Schluss. Es gilt von Fall zu Fall abzuwägen, welcher Kanal der effizienteste und wirkungsvollste ist. Gerade Mailings lassen sich gut gegeneinander testen und hinsichtlich verschiedener Kennzahlen vergleichen. Wichtig ist die intelligente Verknüpfung verschiedener Inhalte in verschiedenen Darreichungsformen auf verschiedenen Kanälen entlang der Customer Journey verschiedener Zielgruppen bzw. Personas. Je nach Zielgruppe, (Kauf-)Phase oder Zielsetzung eignen sich unterschiedliche Kanäle. Ein postalisches Mailing baut kaum Bekanntheit auf. TV, Print-Inserate, Plakate oder Reichweitenwerbung auf fremden Websites und in sozialen Netzwerken sind dafür viel besser geeignet. Will man aber einzelne Kundensegmente gezielt ansprechen, Inhalte personalisieren und Handlung auslösen, dann ist das Direktmarketing die richtige Wahl. Dazu ein Beispiel

Timber, der Neukundenverkupplungsgenerator
Das traditionsreiche Familienunternehmen Schöb AG ist einer der führenden Anbieter von Holzbausystemen in der Schweiz. Schöb baut aber nicht nur Häuser, sondern besitzt auch eine grosse Schreinerei, die individuelle Lösungen im Bereich Küchen- und Innenausbau fertigt. Dafür sollten gezielt neue Leads gewonnen werden. Ein kniffliges Unterfangen. Die meisten Vorhaben im Küchen- und Innenausbau initiiert die Hausherrin. Viele Frauen (Männer natürlich auch) lieben zudem Rätsel oder Tests – sei es in Klatschheftchen oder auf Social Media. «Welcher Schminktyp bist du?» – «Mit wem wirst du demnächst verreisen?» – «Welchem Promi siehst du ähnlich?» Solche Fragen werden munter beantwortet und die Resultate fleissig mit der Followerschaft geteilt. Schöb machte sich diesen Trend zunutze und entwickelte die Onlineplattform «Timber», ein Leadgenerierungsspiel zum Swipen, Matchen und Gewinnen (auch für Herren). Dabei können die Teilnehmen den herausfinden, ob sie eher mit einer Schöb-Küche oder mit einem Schöb-Badezimmer «matchen». Die Plattform wurde digital und analog beworben. Skurrile Native-Advertising-Storys in der Regionalpresse sowie Banner auf Facebook forderten dazu auf, auf timbertest.ch mitzumachen und sich zu registrieren. Als Gewinn winkte eine Marken-Kaffeemaschine. Was jedoch effektiv mehrere Hundert potenzielle Leads auf die Plattform brachte, war ein in die Kampagne eingebettetes unadressiertes Direct Mailing: In den Milchkästchen von 16 000 Liechtensteiner Haushalten wurden dreidimensionale Miniküchen aufgestellt mit der Aufforderung, am Test teilzunehmen und sich zu registrieren.

Das Direct Mail ist tot, es lebe das Direct Mail
Dies nur eines von vielen Beispielen, wie intelligent verknüpfte Kampagnen, die auf sämtlichen Kanälen ausgespielt werden, modern gedacht werden sollten, aber ohne das handlungsauslösende Direct Mail zu vergessen.
Mehr interessante Beispiele finden Sie auf:
agenturamflughafen.com

Herr Eugster, Sie sind mit Ihrer Agentur am Flughafen nun seit bald 30 Jahren unterwegs und sorgen mit Ihren Dialogmarketingkampagnen nicht nur in der Schweiz, sondern auch international für Aufsehen. So erst kürzlich, als Sie mit einer Ihrer Arbeiten zum x-ten Mal im Final der Caples Awards in London standen.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Fleiss, Neugier und Ehrgeiz. Für einen Werber bin ich zwar schon fast in einem biblischen Alter. Ich biege nun aber in die Kurve zur Farewell-Tour ein. (Die könnte aber eine Weile dauern, spielen doch die Rolling Stones seit 20 Jahren ihre definitiv letzten Konzerte). Mein Interesse für cleveren, aktivierenden Dialog zwischen Menschen ist ungebrochen

Braucht es in unserer digitalen Welt überhaupt noch Direct Mailings?
Das ist, als würden Sie mich fragen, ob nach der Coronakrise das persönliche Verkaufsgespräch überflüssig sei. Gewiss, wir haben in den letzten Monaten gelernt, solche Gespräche über den Bildschirm zu führen, aber die Menschen kaufen nicht nur mit den Augen und den Ohren. Erst das Ansprechen sämtlicher Sinne verleiht ihnen das untrügliche Bauchgefühl, das meist schneller entscheidet als der Kopf. Darum haben Mailings, die man riechen, fühlen oder sogar schmecken kann, weiterhin grosse Wirkung.

Inwiefern haben sich Direct Mailings in den letzten Jahren verändert?
Grundsätzlich sind sie – wie die Briefpost – altmodischer, aber exklusiver geworden. Früher wurden wir von gedrucktem Ramsch zugemüllt, heute werden wir von elektronischem Schrott zugespamt. Das bedeutet, die Ansprüche an die Konzeption, die kreative Idee und die hochprofessionelle Umsetzung von Mailings ist gestiegen.

Was macht ein erfolgreiches Direct Mailing aus?
Erstens Relevanz beim Empfänger – der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Zweitens eine frische, inspirierte Idee – nicht alles, was für Sie neu ist, ist auch frisch. Drittens die Fokussierung auf eine einzige kommunikative Speerspitze – verballern Sie nie alle Argumente auf einmal. Viertens eine kreative Nutzung aller Daten – Ihre Daten erzählen Geschichten über Ihre Kunden. Fünftens eine ausgeklügelte, mehrstufige Prozesskette, das Zusammenspiel von Online- und OfflineKanälen und ein perfektes, für den Kunden einfaches Responsemanagement.

Was kann das Direct Mailing, was ein Plakat oder ein Inserat nicht kann?
Verkaufen.

Gutes Direct Marketing hat viel mit Erfahrung zu tun und scheint für junge Kreative nicht gerade ein Magnet zu sein.
Das ist eines der grossen Probleme in unserer Branche. Nur was digital ist, gilt als hip. Bei der weltweit relevantesten Direct-Marketing-Show, die ich kürzlich mitjurieren durfte, kannten sich die meisten Juroren seit Jahren. Da kommt nichts nach. Wir fliegen grösstenteils unter dem Radar. Das Direct Mail bleibt zwar in Mode, ist aber für Kreative wenig attraktiv, weil man damit nicht so reich und berühmt wird wie mit grossen Kampagnen für grosse Marken. Zudem ist der Beruf sehr komplex. Direct Marketing-Kampagnen laufen heute über alle erdenklichen Kanäle. Kampagnen nach dem Motto «Ich schick dir mal einen Brief und du kaufst dann» haben ausgedient. Es braucht viel, viel mehr. Datenanalysen, das Kreativkonzept, die Ausführung der unterschiedlichen Werbemittel – all das ist sehr anspruchsvoll.

Wie lösen Sie das Nachwuchsproblem?
Wir sind ein eingespieltes Team. Die Schlüsselmitarbeitenden sind seit mindestens 20 Jahren dabei. Aber auch der Nachwuchs steht bereit. Zum einen arbeitet unsere Tochter Katie bei uns als Interactive Media Designer. Zum anderen wandelt unser ältester Sohn Max seit drei Jahren in meinen Fussstapfen und setzt nun zum Überholen an, was mich als Agenturchef und Vater ausserordentlich freut.